Restauration Ducati 860 GTS

 

"Der Alicante Fund"

Wir schrieben das Jahr 1991 als ich am Dienstag vor Ostern von meiner Spedition den Auftrag erhielt, Medikamente von Bern in der Schweiz nach Alicante in Spanien zu transportieren.

Verzollung und Entladung sollten am Gründonnerstag in Alicante erfolgen. All meine Einwände, dass in einem erzkatholischen Land wie Spanien, ja wohl kaum einer am Gründonnerstag arbeiten würde, wurden mit der lapidaren Bemerkung, "ist alles schon geklärt", von meinem Disponenten vom Tisch gewischt.

Ich dachte mir, "wenn das mal nicht in die Hose geht" - und ich sollte wieder mal Recht behalten.

Als ich Donnerstag morgen mit meinem Verzollanliegen beim Hauptzollamt in Alicante vorstellig wurde, schaute mich der Zollbeamte an als wäre ich soeben einem Raumschiff aus einer anderen Galaxie entstiegen.

In barschem Ton gab mir der Zöllner zu verstehen, "es pascua, regresan el martes" - was soviel heißt, "es ist Ostern, kommen Sie am Dienstag wieder." Da half alles wehklagen nichts, der Typ blieb stur und ich hatte leider keine andere Wahl, Ostern im LKW und im Zollhof zu verbringen.

Nun gut, es half ja nichts und so verbrachte ich den Donnerstag und den Freitag am Meer und schlenderte Samstagabend durch die Innenstadt. In einer Seitengasse kam ich an einer ziemlich verwahrlosten Motorradwerkstatt vorbei, in der diverse vegammelte Motorräder der Marke Sanglas standen.

Nur rechts hinten in der Ecke stand eine andere - so wie ich in der Dunkelheit erkennen konnte, eine Ducati mit Königswellenmotor. Sontagmorgen suchte ich den Motorradladen noch einmal auf, um bei Tageslicht nochmals einen Blick auf die Ducati zu werfen. Es war eine Königswelle und zwar eine 860 GTS von 1976.

Auf der Maschine war eine dicke Staubschicht, überall war der Lack abgeplatzt und der Allgemeinzustand wird am besten mit "grausam" beschrieben. Ich wollte gerade gehen als der Besitzer des Ladens die Tür öffnete und mich hineinbat. Jetzt konnte ich die Ducati genau unter Augenschein nehmen und der Königswellenmotor faszinierte mich schon sehr. 

Der Händler gab mir zu verstehen, dass dieses Motorrad zu verkaufen sei und verlangte 300.000,- Peseten.

Ich lächelte nur mild, weil das entsprach ca. 3.300,- D-Mark und ich war auf gar keinen Fall bereit mehr als 1.500,- D-Mark für dieses Wrack zu bezahlen. Das Feilschen war eröffnet und ging bis Montagabend.

Erst als ich dem Verkäufer zu verstehen gab, dass ich Dienstag früh Alicante verlassen werde und wieder nach Allemagne fahre und nie wieder komme, schlug er bei 1.200,- D-Mark ein.

Dem mürrische Zöllner, der mich dann am Dienstag verzollte, leierte ich dann gleich noch die Ausfuhrpapiere für das Motorrad aus dem Kreuz und als die Formalitäten erledigt waren, gab er mir den Tipp, wichtige Motorteile abzuschrauben und das dadurch unkomplette Motorrad als Schrott in Deutschland einzuführen - das würde viel Geld sparen.

Ich lies mir die 1.200,- D-Mark von meiner Frau über WesternUnion schicken und holte meine Neuerwerbung nach dem Entladen mit meinem 40-Tonner ab.

Unterwegs schraubte ich die Zylinderköpfe sowie die Zylinder samt Kolben von dem Motor und führte das unvollständige Motorrad problemlos als Schrott in Deutschland ein.

Meine erste große Restaurierung stand an - und ich hatte keinerlei Ahnung, auf was ich mich da eingelassen hatte.

Als erstes zerlegte ich die Kiste mal komplett, um überhaupt festzustellen, was defekt war oder was unbedingt erneuert gehörte. Nachdem ich einen groben Überblick hatte, rief ich den ortsansässigen Ducati Händler an, um die benötigten Teile zu ordern.

Was ich dabei erlebte, war sehr interessant:

Es meldete sich eine junge Dame, die nachfragte, was sie für mich tun könnte. Ich antworte, dass ich Ersatzteile für eine 860 GTS benötigte.
Daraufhin Sie: Für eine was?
Ich: Für eine 860 GTS.
Sie: So ein Modell gibt es nicht!
Ich: Doch, die ist von 1976!
Sie: Da kenne ich mich nicht mit aus. Ich gebe ihnen mal den Chef.

Der gute Mann meldete sich mit den Worten: Sie brauchen Teile für ne 860 GTS? Was wollen Sie denn mit dem alten Schrott! Kaufen Sie sich ne gescheite Neue, dann kann ich Ihnen auch helfen! - und er legte den Hörer auf.

Ich war bedient, also versuchte ich es bei den nächsten Händlern - mit so ziemlich demselben Ergebnis.

Also, Ducati Händler waren für solch ein Projekt nicht die Ansprechpartner. In einschlägigen Oldtimerzeitschriften wurde ich dann doch fündig. Es gab sie, die Leute, die sich mit "solch altem Schrott" beschäftigten.

Als Kompetentester kristallisierte sich dann Andreas Nienhagen mit seiner Firma "DESMO" in Fellbach heraus, der das Projekt dann auch als Ersatzteilversorger komplett begleitete.

So wurde jedes Teil des Motors zerlegt, gereinigt und überprüft und wenn nötig, da irreperabel, neu bestellt, wenn auch häufig mit langen Wartezeiten.
 

Sämtliche Lager im Motor waren hinüber - anscheinend hatte man in Spanien Motorölmangel - und wurden mit den vorgeschriebenen G3 Lagern (G3 = erhöhtes Laufspiel) ersetzt. Diese Lager in Schweinfurt - der Kugellagerstadt - zu bekommen, stellte jedoch kein Problem dar.
 

Richtig schwierig wurde es mit der Kurbelwelle. Da die Pleulfußlager ebenfalls hinüber waren, mussten neue eingebaut werden, jedoch war die Kurbelwelle verpresst.

Das Auseinandernehmen wäre ja unter Umständen noch möglich gewesen, aber beim Verpressen war industrielle Hilfe angesagt.

Die Firma Fichtel & Sachs (Heute ZF-Sachs) in Schweinfurt war bereit, diese Aufgabe zu übernehmen.

Im Sachs Werk Nord gab es eine 60-Tonnenpresse und dort wurden Kurbelwellen für Rasenmäher hergestellt.

Der verantwortliche Meister, der normalerweise eine komplette Rasenmäherkurbelwelle in eine Hand bekam, meinte zu der 36 Kilogramm schweren Ducati Kurbelwelle: "Mi leckst am A... Des is ja mal a drum Eis'n!"

Die Kurbelwelle wurde bei Fichtel & Sachs perfekt neu gelagert und feingewuchtet.

In den kugelförmigen Brennräumen der Zylinderköpfe waren Unmengen von Ölkohle abgelagert, die entfernt werden mussten. 
Ovalgeschliffene Ventilführungen waren die Ursache dafür, dass durch die defekte Abdichtung das Motoröl in die Brennräume lief.

Gleichzeitig wurden die Bronze-Ventilsitzringe gegen welche aus Stahl ersetzt, um den Motor für die Verwendung von bleifreiem Kraftstoff fit zu machen.

Das Motorgehäuse, welches horizontal geteilt ist, bereitete beim Zusammenbau viel Mühe. Da sämtliche Wellen im horizontalen Spiel mittels Anlaufscheiben distanziert werden, musste der Motor 36 mal auf und zu geschraubt werden bis alle Spiele passten.
Eingebaut, in den mit schwarzem Kunststoff überzogenen Rahmen, sah man die drei Jahre andauernde Motorüberholung dem Motor nicht mehr an.

Leider vernachlässigte ich in den folgenden drei Jahren die Dokumentation der weiteren Arbeiten an der 860 GTS, weil Zeit das kostbarste Gut war, welches ich hatte.
 
Wochenlanger internationaler Fehrnverkehr, die Geburt meines Sohnes Nicola André ließen mir kaum Zeit, mich der Restaurierung zu widmen.

Die Elektrik, die Gabel und die Räder sowie alle restlichen Komponenten wurden nach und nach instandgesetzt, so dass - nach sage und schreibe 7 Jahren - die Ducati 860 GTS nach einer § 21 Vollabnahme zugelassen auf der Straße stand.

Als die Ducati 860 GTS dann endlich nach insgesamt sieben Jahren fertig war, war ich mit dem Ergebnis mehr als zufrieden und hatte erkannt, dass meine große Leidenschaft das Restaurieren von alten Motorrädern ist.

Diese Ducati war der Grundstein für die Gründung der Bikeschmiede, in der dann im Laufe der Jahre noch etliche Restaurationen folgten.